Der erste Herz-Mariä-Verehrer

Loreto, 13.3.1987

Wenn es uns im Sinn der Botschaft von Fatima um die rechte eifrige Verehrung des Unbefleckten Herzens Mariä geht, dürfen wir jenen Heiligen nicht übersehen, den man mit Recht den ersten Herz-Mariä-Verehrer genannt hat, den hl. Joseph. An ihn und seine Tugenden sei jetzt in dem ihm geweihten Monat März bei der Fatima-Sühnemesse erinnert. Der hl. Joseph als der erste Herz-Mariä-Verehrer: Er war es dadurch, dass er sich mit der ganzen Liebesfähigkeit seines Mannesherzens ganz und gar und für immer mit der seligsten Jungfrau Maria in einem jungfräulichen Ehebündnis verbunden hat.

Der Lohn für seine sich in ganz edler Liebe dem Herzen Mariä schenkenden Verbindung war die Berufung zu einer unsagbar großen Würde, nämlich zu einer geheimnisvollen Vaterschaft dem menschgewordenen Sohn Gottes gegenüber, da dieser in seine mit der seligsten Jungfrau eingegangenen jungfräulichen Ehe hineingeboren wurde. Und alle Liebe, die der hl. Joseph bisher dem Unbefleckten Herzen Mariä entgegengebracht hatte, schenkte er fortan auch dem Herzen des Gottmenschen, dem göttlichen Herzen Jesu:

In der zartesten Liebe, die je ein Gatte seiner Gemahlin entgegengebracht hat, liebte der hl. Joseph seine jungfräuliche Gemahlin, an der er erlebte, dass sie zu unsagbar hoher Begnadung, Auserwählung und Berufung vom ewigen Gott bestimmt worden war.

Und in der väterlichsten Liebe, die je ein Vater seinem Kind, der Frucht des ehelichen Bundes, entgegengebracht hat, liebte der hl. Joseph zugleich mit Maria jenes Kind, von dem er wusste, dass es – hineingeboren in seine jungfräuliche Ehe mit Maria – der menschgewordene Sohn Gottes war.

In dieser doppelten Liebe: der Liebe zum menschgewordenen Sohn Gottes Jesus Christus: in der Gestalt eines hilfebedürftigen Kindes und in der Liebe zu Maria reifte der hl. Joseph zu hervorragender Heiligkeit heran.

Von dieser überragenden Heiligkeit des hl. Joseph zeugt in klarer Weise jener kurze Satz im MT 1,19, wo vom hl. Joseph betont wird, dass er, der Gemahl Mariens, ein gerechter Mann war.

Was bedeutet hier der biblische Ausdruck „gerecht“? Ist „gerecht“ gleich „rechtschaffen“? Die allermeisten Kirchenväter, Kirchenlehrer und Exegeten deuten diesen Ausdruck „Josef war ein gerechter Mann“ so, dass einem „gerechten Menschen“ im biblischen Sinn allseitige sittliche Vollkommenheit, Tugendfülle und Heiligkeit eigen ist.

Die Hl. Schrift bezeugt aber nicht nur in dieser gewissermaßen abstrakten Art die hervorragende Heiligkeit des hl. Joseph, sie stellt uns vielmehr auch in sehr konkreter Weise überaus anschaulich die hervorragende Heiligkeit des hl. Joseph vor Augen durch Hinweis auf jene wichtigsten Tugenden, die er im Zusammenleben mit Maria in heroischer Weise geübt hat.

1. Unter diesen Tugenden des hl. Joseph sind zu allererst sein Glaube und sein Gehorsam zu nennen: Ein Beispiel dafür: In schmerzlich bitterer Unruhe und Sorge wegen des gesegneten Zustandes seiner ihm angetrauten, vielgeliebten jungfräulichen Gemahlin wird der hl. Joseph von einem Engel beruhigt mit den Worten: „Joseph, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Gemahlin zu dir zu nehmen, denn was in ihr gezeugt worden ist, stammt vom Hl. Geist!“

Was hat damals der hl. Joseph dem Engel geantwortet? Was hat er dem Engel entgegnet? Die Hl. Schrift berichtet uns da kein einziges Wort des hl. Joseph; sie bezeugt nur seinen zweifelsfreien Glauben dem Engelswort gegenüber. Aus diesem starken Glauben folgte beim hl. Joseph sogleich ein ohne Widerrede sofort einsetzender Gehorsam; denn es heißt in der Hl. Schrift sogleich: „Joseph stand vom Schlafe auf und tat, was ihm der Engel befohlen hatte und nahm seine Frau zu sich.“ (MT 1,24) Hier treten uns wirklich ein heroischer Glaube und ein ebenso heroischer Gehorsam entgegen. Die Hl. Schrift nennt bekanntlich den Glauben des Patriarchen Abraham groß, weil er dem Herrn geglaubt hatte, als er ihm noch die Geburt eines Sohnes aus der hochbetagten, unfruchtbaren Sara angekündigt hatte: der Glaube des letzten Patriarchen, des hl. Joseph aber war noch viel größer und bewunderungswürdiger, weil er auf das Wort des von Gott zu ihm gesandten und ihm im Traum erschienenen Engels die jungfräuliche Empfängnis des Sohnes Gottes im jungfräulichen Mutterschoß Mariens, seiner Gemahlin, in demütig-schlichtem Glauben zur Kenntnis nahm und nach dieser Engelsbotschaft sofort und bereitwillig und sicher auch mit großer Freude seine jungfräuliche Gemahlin zu sich nahm.

Es war das wirklich ein bewundernswerter Glaube des hl. Joseph!

Gewiss wird dabei Gott diesen Glauben durch reichliche Gnadenhilfe angeregt und gestützt haben, aber bedenken wir dabei, dass Gottes Gnade die Schwierigkeiten nicht aus dem Weg räumte, die diesem Glaubensakt des hl. Joseph entgegenstanden. Gottes Gnade gab nur die Kraft zur Überwindung der Schwierigkeiten! Etwas mag freilich ganz sicher den hl. Joseph in seinem Glauben an die Wahrheit der Engelsbotschaft besonders bestärkt haben; nämlich seine große Liebe zu Maria. Sie stand hinter dem starken Glauben des hl. Joseph. – Noch ein zweites Beispiel:

Denken wir noch an die andere biblische Szene, in der sich der hl. Joseph als Mann des starken Glaubens erwiesen hat. Es war diesmal nicht mehr in Nazareth, sondern in Bethlehem. Wieder kam ein Engel zum hl. Joseph. Er forderte ihn diesmal zur Flucht nach Ägypten auf, um so das göttliche Kind vor der Mörderhand des Königs Herodes in Sicherheit zu bringen. Musste diesmal die Engelsbotschaft dem hl. Joseph nicht wieder höchst eigenartig vorkommen? Dieses Kind war ihm doch als Befreier und Retter seines Volkes und als Erlöser der Welt angekündigt worden. Nun aber sollte der hl. Joseph dieses Kind vor den Nachstellungen des Herodes durch Flucht retten!? Hätte das göttliche Kind nicht wenigstens durch ein wunderbares Eingreifen des himmlischen Vaters gerettet werden können? Bedurfte es dazu wirklich der Flucht nach Ägypten? Doch der hl. Joseph ließ sich nicht im Geringsten beirren durch an sich naheliegende Bedenken, Zweifel und Schwierigkeiten. In unerschütterlichem Glauben, in bereitwilligem Gehorsam, mit wunderbarem Starkmut erhob sich der hl. Joseph sofort von seinem Lager, nahm das Kind und seine Mutter und unternahm die sicher mit größten Schwierigkeiten und Opfern jeder Art verbundene Reise durch die öde Wüste nach dem fernen, ihm völlig unbekannten Land Ägypten. Schweigend, demütig gehorchend, glaubend, erfüllte dieser Mann die ihm gestellte Aufgabe.

2. Eine Tugend, die der hl. Joseph ebenfalls in heroischem Grad geübt hat, gehört noch besonders genannt: seine erbaulich große, ergreifende Innerlichkeit. Diese Innerlichkeit war keineswegs eine angeborene, temperamentmäßige Veranlagung. Der hl. Joseph hat diese große religiöse Innerlichkeit vielmehr erworben auf Grund ständigen Betrachtens und Meditierens: Er hatte ja über so vieles nachzudenken und zu betrachten: Er beobachtete seine jungfräuliche Gemahlin Maria in der Schönheit ihres Herzensadels, in der Fülle ihrer Tugenden, in der Erhabenheit ihrer Gottesmutterwürde. Er wusste schließlich um all das Große, das an ihre Person geknüpft war auf Grund geheimnisvoller Erwählung und Gnadenwahl durch Gott. „Und dennoch“ – so mag sich der hl. Joseph immer wieder gesagt haben – „darf ich diese liebenswürdigste junge Frau, die der Sohn Gottes zu seiner Mutter erkoren hat, lieben und mein Eigen nennen als meine jungfräuliche Gemahlin!“ Da kam der hl. Joseph schon deshalb aus dem staunenden Nachsinnen über diese geheimnisvollen Heilstatsachen nie recht heraus. Dazu dann erst recht der beständige Anblick des göttlichen Kindes: das Geheimnis seiner Menschwerdung, über das den hl. Joseph der Engel aufgeklärt hatte; das Geheimnis des Namens des Kindes und des darin ausgesprochenen Berufes: Jesus = Erlöser; weil er sein Volk erlösen soll von all seinen Sünden! Wie wird sich das wohl vollziehen? Fragen über Fragen tauchten da vor dem nachsinnenden, betrachtenden hl. Joseph auf.

Der hl. Joseph hatte die Hl. Nacht erlebt und ihre Wunder geschaut. Er hatte der Reihe nach beobachtet, wie sich die Weissagungen der Propheten erfüllten. Er hatte Maria zur Darstellung des göttlichen Kindes in den Tempel begleitet und die inhaltsschweren prophetischen Worte des greisen Simeon vernommen. Wie lieferte ihm doch all dies eine Fülle von Betrachtungsstoff! Es galt Ereignissen nachzusinnen, in denen sich göttliche Macht und Herrlichkeit und zugleich tiefste Demut, Herablassung, Ohnmacht und Armut kundtaten. Und dann die langen Wanderwege auf der Flucht nach Ägypten; bei der Rückkehr nach Nazareth, Verfolgung zuerst und Verborgenheit dann. Wozu das alles? Weshalb und warum? Welcher Plan der göttlichen Vorsehung steckte hinter all dem? Vielleicht hat sich der hl. Joseph gar manchmal darüber mit Maria besprochen. Vielleicht hat zuletzt den Joseph und die seligste Jungfrau Maria der Sohn Gottes selber noch ein wenig eingeführt in die Größe und Tiefe der rätselhaften Leidens- und Erlösungsgeheimnisse. Jedenfalls war der hl. Joseph durch die meditative Beschäftigung mit diesen Heilsgeheimnissen auf Grund seines Glaubens, seiner Demut und seines Gehorsams in hervorragender Weise befähigt, ein Meister der Betrachtung und der religiösen Innerlichkeit zu werden.

Der hl. Joseph, dieser Mann, dem es vergönnt war, jahrelang in der Nähe des Sohnes Gottes und der jungfräulichen Gottesmutter Maria zu leben, er wurde dabei zu einem Mann des Gebetes. Er pflegte sicher das mündliche Gebet sehr eifrig. Schließlich war ja eigentlich jedes Wort, das aus dem Munde des hl. Joseph kam, ein Gebet, wenn man mit Recht das Beten ein frommes Sprechen mit Gott und seinen Heiligen genannt hat. Immer war ja alles Sprechen des Hl. Joseph ein Sprechen mit Gott, mit dem menschgewordenen Sohn Gottes und mit der Königin aller Heiligen, mit Maria. Der hl. Joseph war aber noch viel mehr als im mündlichen Gebet im betrachtenden Gebet ein Meister und er könnte uns allen in der ganzen Art seines Betrachtens und Meditierens Vorbild und Lehrer sein, denn er zeigt sehr anschaulich und konkret, wie und worüber man vor allem betrachten soll: nämlich über die Heilsgeheimnisse, über das Christusereignis von der Menschwerdung und Geburt Jesu angefangen, über sein verborgenes Leben in Nazareth bis hin zum öffentlichen Lehren und Wirken und bis hin zu seiner Passion und seiner Auferstehung und Verherrlichung. Dann wird man wie von selbst ein innerlicher Mensch. Der hl. Joseph hat es gelernt an der Seite jener, die wir in der Lauretanischen Litanei „ das vortreffliche Gefäß der Andacht“ nennen und von der es heißt: „Sie bewahrte alle diese Geschehnisse in ihrem Herzen.“

Es gibt Sterne, deren Schein uns Menschen erst sichtbar wird, wenn ihr Licht längst erloschen, ihre Glut längst erkaltet ist.